„Das Kind wird dazu angeregt selbstständig an die Lösung von Aufgaben heranzutreten, damit es sich einst im Leben auf seine Kraft verlassen kann und nicht das gedankenlose Opfer gewissenloser Menschen wird.“
Diese so wertvollen und wahren Worte zur idealtypischen Wirkweise von Schule könnten von Jürgen Czernohorszky stammen. Denn er lebt sie, als neuer Stadtschulratspräsident von Wien. Tatsächlich aber entstammen sie einer Rede seines Vorgängers aus dem Jahre 1930, dem herausragenden Schulreformer Otto Glöckel.
Dieser gilt bis heute zurecht als einer der wichtigsten Vordenker und Umsetzer in der österreichischen Schulgeschichte. Schon in den 1920er-Jahren kämpfte er mit der „Wiener Schulreform“ für die Einführung einer Gesamtschule, für die Demokratisierung des Schulbetriebs und gleiche Bildungschancen für alle Kinder, unabhängig von Geschlecht und Herkunft. Dabei stützte er sich auch auf das Werk des Individualpsychologen Alfred Adler.
Ich freue mich sehr, dass mich Jürgen Czernohorszky in sein neues Büro #AufanKaffee eingeladen hat, wenige Monate nach seinem Amtsantritt. Ich kenne und schätze ihn jetzt schon seit einigen Jahren und habe ihn bereits an dieser Stelle vor geraumer Zeit als Bundesgeschäftsführer der Kinderfreunde Österreich portraitiert. Doch seine neue Aufgabe als amtsführender Präsident des Wiener Stadtschulrats ist so wichtig und seine Herangehensweise, gerade auch in diesen schwierigen Zeiten, so schön und inspirierend, dass ich nicht umhinkomme ein weiteres Portrait zu verfassen.
Jürgen stützt sich in seiner Arbeit u.a. auf zwei Grundlagen: Das Wiener Koalitionsübereinkommen, das eine Reform des Stadtschulrats hin zu einer echten Service-Organisation für SchülerInnen, Eltern und LehrerInnen vorsieht. Und seine tiefe Überzeugung von einer Notwendigkeit der Stärkung und Achtung der Kinderrechte – nicht nur in der Theorie, sondern auch im gelebten Alltag.
In der Praxis bedeutet das zunächst einmal: Sichtbarmachen dessen, was schon gut funktioniert. Und davon gibt es jede Menge in Wien. Seien es erfolgreiche Schulprojekte, überaus engagierte PädagogInnen oder neuartige Zugänge zu lehren und lernen. Auf seiner „Tour“ durch Wiens Schulen erlebt man ihn mitunter tanzend und singend mit den Kindern, meistens aber zuhörend und im Dialog.
Denn die Realitäten an den Schulen, die Perspektiven der Kinder und Jugendlichen, der Eltern und der LehrerInnen, sind das Fundament seiner Arbeit: „Unsere Lehrerinnen und Lehrer leisten tagtäglich hervorragende Arbeit und sie haben große Erfolge – sichtbar etwa beim erfolgreichen Übertritt auch von Kindern bildungsferneren Hintergrunds in höhere Schulformen.“
Hier spricht er eines seiner Kernanliegen an: Die Bildungschancen von Menschen dürfen nicht von ökonomischen Barrieren beeinträchtigt werden. Jürgen sagt: „Unsere Aufgabe ist es nicht Mauern, sondern Übergänge für die Kinder zu bauen“. Wer lernen will, soll lernen können. Dazu braucht es die richtigen Rahmenbedingungen, wie etwa die gemeinsame Schule der 10-14-jährigen, vor allem aber den richtigen Zugang.
„Wir müssen Kinder begeistern, einladen und bestärken. Die gute Beziehung zwischen LehrerInnen und SchülerInnen ist dafür die Grundlage.“ Und diese gute Beziehung fördert man nicht indem man die einen gegen die anderen ausspielt, wie das leider sehr oft in bildungspolitischen Diskursen passiert, sondern indem man verbindend wirkt.
In einer Millionen-Metropole wie Wien sind die Herausforderungen an die Schule natürlich ganz andere als am Land. Und dem muss Seitens der Politik auch Rechnung getragen werden. So wirbt er derzeit auch für eine fairere Ressourcenverteilung, denn: „Wir müssen uns die Realität ansehen – und Mittel auch entsprechend der sozialen Indexierung verteilen. Das heißt ganz konkret: Dort, wo Kinder und Jugendliche mehr Unterstützung von uns brauchen, müssen natürlich auch mehr Ressourcen zur Verfügung stehen.“ Die nächsten Verhandlungen zum Finanzausgleich werden hierfür ein Schlüsselmoment sein.
Das Gespräch mit Jürgen macht Freude und gibt Hoffnung. Denn Menschen wie er beeinflussen die Systeme, in denen sie wirken, nachhaltig. Das ist spürbar – wohin ich auch komme werde ich derzeit auf den neuen Stadtschulratspräsidenten angesprochen. Und sogar der Portier im Stadtschulrat berichtet mir bei meinem Besuch lächelnd vom „frischen Wind“, den sein neuer Chef reinbringt.
Am Ende des Tages sind wir aber alle gefordert Jürgen bei seinen Bemühungen zu unterstützen. Das machen wir am besten, indem wir bei Diskussionen rund um Schule nicht auf Dienstzeiten oder die Befindlichkeiten Einzelner fokussieren, sondern nie vergessen worum es dabei eigentlich gehen sollte: Junge Menschen in ihrer Entwicklung und ihrer Entfaltung zu begleiten und zu unterstützen. Denn das ist die eigentliche Aufgabe von Schule in meinem Verständnis.
Danke für das Gespräch, lieber Jürgen, und viel Kraft für dein weiteres Wirken! 🙂