#Alltagsrassismus ist besonders perfide: Seltsame Blicke, unpassende Fragen, halblustige Scherze, beiläufige Äußerungen – das „Repertoire“ ist schier unerschöpflich. Er begegnet uns überall und man ist trotzdem in den seltensten Fällen darauf vorbereitet auf der Straße, am Arbeitsplatz, in Lokalen und allen sonstigen erdenklichen Orten damit konfrontiert zu werden.
Ich habe im Laufe der Jahre hunderte Erzählungen von Bekannten, Verwandten und Freunden gehört über ihre Erfahrungen mit Diskriminierung wegen ihrer Herkunft, Sprache oder Hautfarbe. Und auch ich selbst musste mir schon viel anhören. Erst kürzlich ist mir der Alltagsrassismus wieder persönlich begegnet. Und darüber möchte ich heute kurz berichten. Ich habe lange gezögert, finde es aber notwendig. Weil es an- und ausgesprochen werden muss.
Stellt Euch vor Ihr sucht einen Gebrauchtwagen. Ihr geht in das Autohaus Liewers in Wien-Favoriten und ersucht den Verkäufer um Beratung. Dieser beäugt Euch skeptisch und weist einsilbig den Weg in die Ausstellungshalle – ohne zu grüßen, aufzustehen oder auch nur seine rauchende Zigarette wegzulegen. Ihr fasst dort zwei Wagen in die engere Auswahl und kehrt zu ihm zurück.
Ihr bittet ihn um mehr Informationen. Und müsst Euch vorweg gleich nach Staatsbürgerschaft und „Aufenthaltstitel in Österreich“ fragen lassen. Widerwillig begleitet Euch der Verkäufer nach mehrmaligem Ersuchen dann doch noch persönlich zu den Autos und quittiert dort jede Eurer Fragen gereizt und herablassend.
Zufällig kommt währenddessen ein anderer Interessent mit seinen Kindern vorbei und wundert sich, in gebrochenem Deutsch, wie die Autos in die im zweiten Stock liegende Ausstellungshalle kommen – woraufhin der Verkäufer in einem abschätzigen Ton, vor den Kindern, einen halblustigen Scherz macht der eine klare Botschaft transportiert: „Was für eine vertrottelte Frage“.
Ihr ärgert Euch aber seid auch überrumpelt. Ihr fragt Euch: „Soll ich das Fehlverhalten ansprechen, eine Eskalation in aller Öffentlichkeit riskieren?“ Ihr entscheidet Euch dagegen und verlasst das Autohaus. Unterwegs breitet sich ein Gefühl von Ohnmacht aus. Ihr fragt Euch: „Liegt es an meiner Erscheinung, dass ich so behandelt wurde? Bin ich selbst schuld dran? Was an meinem Aussehen passte ihm nicht? Hätte ich mich heute doch extra rasieren sollen?“
Vom „Einzelfall“ und einer Systemlogik
Am Abend entschließt Ihr Euch es doch zu thematisieren und verfasst ein längeres Schreiben an die Geschäftsführung des Autohauses. Es antwortet die Abteilung „Kundenzufriedenheit“ und gibt Auskunft, dass der betreffende Mitarbeiter sich keiner Schuld bewusst sei und sich nicht an derlei Aussagen erinnern könnte, man daher die Vorwürfe nicht nachvollziehen könne. Die Deutungshoheit darüber, ob Ihr Euch herabgewürdigt fühlen dürft, liegt also offenbar beim Täter.
Alltagsrassismus ist selten offen und auf den ersten Blick ersichtlich. Er verletzt, er vermittelt ein Gefühl der Nichtzugehörigkeit und er lässt dich auch meist ohne „Beweise“ zurück. Umso wichtiger ist ein sensibles Gegenüber, das nicht im ersten Reflex mauert sondern sofort Verantwortung übernimmt. Im Wiener Autohaus Liewers ist das offenbar nicht der Fall, sonst hätte man mich zumindest angerufen und ein Bedauern ausgedrückt.
Ich werde dort also mit Sicherheit kein zweites Mal nach einem Auto suchen. Denn das Verhalten des betreffenden Mitarbeiters ist die eine Sache, die völlige Unfähigkeit der Leitung damit korrekt umzugehen, im Sinne einer offenen und sensiblen Behandlung des Falls, aber eine ganz andere. Das Motto des Firmengründers Alfred Liewers, „Immer etwas mehr zu tun als verlangt wird“, welches sie stolz auf ihrer Homepage anpreisen, wird in diesem Kontext für mich nicht ersichtlich. Und das empfinde ich als extrem bedenklich.
Ich habe wie erwähnt gezögert Euch das zu erzählen. Aber ich bin nicht mehr bereit zu schweigen. Auch stellvertretend für die vielen Menschen, denen das jeden Tag in dieser oder noch viel stärkerer Form passiert. Viel zu oft erleben Menschen ganz unterschiedliche Ausprägungen von Alltagsrassismus, aber schweigen – weil sie meinen ohnehin nicht gehört zu werden oder weil sie sich genieren. Weil sie nicht bloßgestellt werden möchten, weil sie nicht ein Opfer von Rollenumkehr werden wollen.
Es reicht. Das muss endlich aufhören. Wir leben im Jahr 2016 verdammt, in einer „Stadt der Menschenrechte“ – hier und auch sonst nirgends darf Alltagsrassismus noch einen Platz haben. Es darf nicht davon abhängen, ob ich hinreichend „österreichisch“ aussehe, ob ich anständig behandelt werde oder nicht. Auch nicht beim Besuch eines Autohauses.