Aktuell läuft unter dem Titel „Wir wollen mehr“ online eine Unterschriftenliste gegen Werner Faymann. Darin wird sein Rücktritt als Vorsitzender der SPÖ gefordert. Ich habe sie nicht unterzeichnet. Weil ich der Meinung bin, dass allein der Austausch des Vorsitzenden nicht sinnvoll ist. Schon gar nicht auf so eine Weise. Und zwar dann nicht, wenn man tatsächlich eine Erneuerung der SPÖ beabsichtigt. Und die benötigen wir.
Wir benötigen eine Neuaufstellung der Sozialdemokratie in Österreich. Weil wir in den letzten Jahren beständig an Mitgliedern und Wähler*innen verlieren. Und die sind das Herz und der Motor einer politischen Bewegung. Wir verlieren sie, weil wir uns in der Regierungspolitik und in der Art wie wir nach innen und außen kommunizieren vielfach von den sozialdemokratischen Werten entfernt haben. Wir leben sie zu oft nicht mehr. Das muss sich ändern.
Reformen mit Substanz
Echte Ansatzpunkte für eine Reform gibt es einige. Da wäre das Statut, das dahingehend zu verändern wäre, dass echte Mitbestimmung möglich wird. Derzeit sind die Einflussmöglichkeiten und der Kreis der Entscheidungsträger*innen extrem limitiert. Die SPÖ ist grundsätzlich von unten nach oben gebaut, mit den Sektionen als Fundament. Und das ist gut so, weil es den Einbezug aller Menschen sicherstellt.
Doch wenn die Sektionen entweder nicht mehr mit Leben erfüllt sind oder sich die darin entstehenden Dynamiken nicht nach oben entfalten können, dann beraubt sich die Bewegung ihrer wichtigsten Kraft: Des kritischen Kampfgeistes. Den braucht gerade eine politische Gemeinschaft, die sich der Verteidigung und Durchsetzung der Rechte der Ärmsten und Schwächsten verschrieben hat, mehr als alles andere.
Oder die Kommunikation. Die Interaktion mit Menschen muss an ihre Lebenswelten angepasst werden. Das bedeutet im Jahr 2015, dass man verstärkt die Ansprache in sozialen Netzwerken sucht. Und zwar den echten Austausch und nicht bloß die Bereitstellung von Pressemitteilungen. Auf kritische Kommentare muss man eingehen, bei intensiverem Bedarf nach Dialog auch entsprechende Räume dafür bereitstellen.
Gleichzeitig gilt es niederschwellige Orte der Begegnung zu gestalten, die thematisch klar abgegrenzt sind und dazu einladen sich zu vernetzen und einzubringen. Da sollte man nicht Mitglied der Bewegung sein oder die Führungsriege kennen müssen, um mitwirken zu können. Dazu muss klar sein, was diese Begegnungen bewirken – und sie sollten manchen als Adapter an die „echte Welt“ dienen, außerhalb der Parteiblase.
Die depolitisierte, politische Kraft der Gemeinschaft
Was wir seit Jahren immer mehr erleben ist eine Abwanderung des politischen Aktivismus von Parteien hin zur Zivilgesellschaft – Initiativen, NGOs, temporären und zielgerichteten Aktionen. An ihnen beteiligen sich hunderttausende Menschen, ganz ohne Aussicht oder Anspruch auf Jobs oder Wohnungen. Sie investieren ihre Zeit, ihre Energien und oft auch ihr eigenes Geld um für eine gute Sache aktiv zu werden.
Niemand zwingt sie dazu, manchmal muss man sie sogar davon abhalten, weil es zeitweise schlicht zu viele werden. Von Politikverdrossenheit kann hier also keine Rede sein. Und es ist auch kein Befund der nur auf eine spezifische Generation zutreffen würde. An Demonstrationen und Hilfsaktionen, wenn wir nur an die letzte Zeit denken, beteiligen sich Menschen jeden Alters. Aus allen gesellschaftlichen Gruppen.
Was sie eint ist der Wunsch sich selbst einzubringen, eigene Ansichten zu vertreten und Verantwortung zu übernehmen – und sei es „nur“ für die Verteilung von Essen an Schutzsuchende oder das laute Auftreten gegen Fremdenfeindlichkeit. Diese Möglichkeiten werden im etablierten Parteisystem zu wenig geboten, das Potential wird schlicht nicht genutzt. Und so lernen sie: Die (Partei)Politik ist nichts für mich.
Eine Politik der Prinzipien
Wenn wir von einer Erneuerung der Sozialdemokratie sprechen, dann müssen wir damit auch die entsprechende Übertragung der historischen Ideale und Werte dieser Bewegung auf die heutige Situation meinen. Das bedeutet, dass wir Menschen mit den Instrumenten unserer Zeit und auf Augenhöhe begegnen. Es bedeutet, dass wir größere gesellschaftspolitische Zusammenhänge aufzeigen und kritisch reflektieren.
Es bedeutet, dass wir die SPÖ wieder zu einer Bewegung für alle Menschen machen und uns in unserem täglichen Handeln nicht am Machterhalt oder den sogenannten „realpolitischen Notwendigkeiten“ orientieren sondern an den Bedürfnissen der Menschen. Es bedeutet, eine Politik der Prinzipien zu leben wie wir das bei der Flüchtlingsfrage in Wien gemacht haben, ganz gleich ob es gerade Mainstream ist oder nicht.
Das bedeutet vor allem aber auch, der Neoliberalisierung unserer Gesellschaft entschieden entgegenzutreten. Sie ist die größte Bedrohung für unsere solidarische Gemeinschaft. Und sie sollte das Kernthema sozialdemokratischer Politik sein. Denn sie berührt negativ u.a. Bildung, Wohnen, Arbeit, Menschenrechte, Tierrechte und bedroht unsere Werte Solidarität, Gerechtigkeit, Gleichheit und Freiheit gleichermaßen fundamental.
Der Mut der Einzelnen
Wir brauchen also einen Wandel. Ob in der Initiative Kompass, in der Sektion Acht oder in einem anderen Rahmen: Am wichtigsten ist nun die Vernetzung der progressiven Kräfte innerhalb der SPÖ und die intensive Zusammenarbeit mit Menschen aus NGOs und Gruppierungen von außerhalb. Gemeinsam gilt es themenspezifisch an Positionen und Forderungen zu arbeiten, die dann auch offensiv gemeinsam kampagnisiert werden.
Es kann nicht um einen medial verstärkten oder erzwungenen „Putsch“ gegen die Führungsriege gehen. Das würde den Niedergang dieser großen Bewegung vermutlich verzögern, aber nicht aufhalten. Es darf auch keinesfalls um Grabenkämpfe und persönliche Animositäten gehen. Und auch nicht darum, wer das intellektuellere Konzept vorweisen kann, wer die stärkere „Hausmacht“ hat oder die höheren Beliebtheitswerte.
Vor allem aber braucht es den Mut der Einzelnen. Den Mut sich zu einer konstruktiven Erneuerung zu bekennen und persönlich daran zu wirken. Abwarten und hinter verschlossenen Türen in Diskussionskreisen heimlich Pläne schmieden wird uns nicht weiterbringen. Auch kein öffentliches Bashing von Einzelpersonen. Die Sozialdemokratie die wir uns wünschen und brauchen, muss auf dem gemeinsamen Weg zu ihr entstehen.