Weltweit sind nach Angaben der Vereinten Nationen derzeit über 34 Millionen Kinder und Jugendliche auf der Flucht. So viele wie noch nie in der Geschichte. Sie flüchten vor sexualisierter Gewalt und vor Arbeitsausbeutung, vor dem Hungertod, vor Zwangsheirat, vor dem Tod durch Bomben oder einer Zwangsrekrutierung als Kindersoldaten. Und aus vielen anderen Gründen. Sie haben in ihrer Heimat keinen Schutz und keine Perspektive.

Sie machen sich mit ihren Eltern auf den Weg oder auch alleine. Sie durchqueren dabei hunderte, oftmals tausende Kilometer. Sie werden unterwegs vergewaltigt, geschlagen, ermordet. Diejenigen, die es an die nordafrikanischen Küsten schaffen, sind mit einem weiteren Martyrium in einem „Lager“ oder durch Schlepper konfrontiert. Wenn sie es dann irgendwie und irgendwann doch noch auf ein Boot schaffen, müssen sie hoffen.

Sie hoffen, dass sie nicht zu den zigtausenden Kindern und Jugendlichen zählen werden, die in den vergangenen Jahren namenlos im Mittelmeer ertrunken sind. Sie hoffen, dass sie gerettet werden – aus dem Meer und aus ihrer leidvollen Existenz. Sie sind keine „Invasoren“ und keine „Schmarotzer“, sie sind junge Menschen, die überleben wollen. Und wenn sie unterwegs zu uns sterben, wurden sie Opfer eines Verbrechens, keines Unfalls.

Das massenhafte Sterben von Menschen im Mittelmeer wird seit vielen Jahren dokumentiert. Zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen sind bemüht den Schutzsuchenden zu helfen, sie vor dem Tod zu bewahren. Und werden dabei von den europäischen Regierungen regelrecht boykottiert und torpediert. Und die Abschottung der Festung Europa geht weiter, wird mit unser aller Steuergeld noch weiter intensiviert.

Das alles geschieht aus einem politischen Kalkül. Denn je stärker äußere Feindbilder bedient werden können, je mehr ein Diskurs gezielt entmenschlicht und verroht wird, umso einfacher wird die gesellschaftliche Spaltung. Wenn es einmal gelungen ist den tausendfachen Tod von Kindern zu relativieren und legitimieren, ist politisch alles möglich. Die Regierungen Europas lassen zu, was nicht zugelassen werden darf. Vorsätzlich.

Und plötzlich kommen Grenzüberschreitungen in allen politischen Bereichen auf die Tagesordnung. Das Verbot von Gewerkschaften, die Privatisierung des Sozialstaats, die Entrechtung von Arbeitenden, die Enteignung von Arbeitslosen, die Entwürdigung von AusländerInnen, die schrittweise Etablierung eines Polizeistaats und damit einhergehend die dutzendfache Einschränkung der Menschenrechte bei allen BürgerInnen.

Der Tod der Kinder im Mittelmeer ist kein Zufall und er ist kein Unfall. Und er wäre vermeidbar. Doch diejenigen, die mit Hetze und Spaltung an die Macht gekommen sind, haben überhaupt kein Interesse daran. Denn diese toten Kinder helfen ihnen indirekt dabei ihre neoliberale und fremdenfeindliche Agenda durchzusetzen. Es wird Zeit das zu erkennen. Und sich im Kollektiv entsprechend dagegen zu wehren.

Bevor wir nicht nur die Menschlichkeit und Solidarität, sondern auch unsere Freiheit und Selbstbestimmtheit endgültig verlieren. Und was für eine Gesellschaft sind wir eigentlich, wenn wir den tausendfachen Tod von Kindern einfach hinnehmen, ja von unseren Regierungen sogar befördern lassen? Jedenfalls eine moralisch gescheiterte Gesellschaft, die menschenrechtliche Ansprüche an sich selbst längst aufgegeben hat.


Foto: Reuters/Darrin Zammit Lupin

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